"Wir arbeiten an der Ablösung der klassischen Chemotherapie."

Frau Prof. Harbeck, Frau Prof. Nitz ‒ herzlichen Glückwunsch zum Deutschen Krebspreis 2023! Wie würden Sie Ihren Nachbarn Ihren Forschungsschwerpunkt beschreiben?

Prof. Harbeck: Etwa 70.000 Frauen pro Jahr erkranken an Brustkrebs. Der mit Abstand nebenwirkungsreichste Teil der Standard-Erstbehandlung ist die Chemotherapie. Wir haben versucht, durch verbesserte präoperative Risikoeinschätzung und eine kurze präoperative „Testbehandlung“ die Therapiestrategie zu individualisieren. Hauptziel war es, eine Überbehandlung, aber auch eine Unterbehandlung mit Chemotherapie bei allen Formen von frühem Brustkrebs zu vermeiden. Also: so wenig Chemotherapie wie möglich und nur so viel wie unbedingt nötig.

Welches Ihrer Forschungsergebnisse hat Sie selbst besonders überrascht oder beeindruckt?

Prof. Nitz: Die hohen Heilungsraten bei der frühen Brustkrebserkrankung und die Tatsache, wie oft wir in der Vergangenheit tatsächlich aus „Sicherheitsgründen“ mit Chemotherapie überbehandeln mussten, weil wir das tatsächliche Therapieansprechen bei der einzelnen Patientin noch nicht auswerten konnten. Heute dürfen wir aufgrund unserer Daten in Zusammenschau mit der internationalen Literatur davon ausgehen, dass höchstens ein Viertel der Frauen nach den Wechseljahren und vielleicht 40 Prozent der jungen Frauen einer Chemotherapie bedürfen, um optimale Heilungschancen zu haben.

Wie können Betroffene von ihrer Forschung profitieren?

Prof. Harbeck: Chemotherapie bei der Erstbehandlung von Brustkrebs bedeutet etwa ein halbes Jahr Therapie mit schweren akuten, aber auch möglicherweise langfristigen Nebenwirkungen, wie Immunsuppression, Übelkeit, Erbrechen, Haarausfall, Nervenschäden, Herzschäden um nur die häufigsten zu nennen. Der Alltag, das Familien- und das Berufsleben können empfindlich gestört sein. Langzeitschäden, wie taube Finger/Füße, Herzschäden, Unfruchtbarkeit können verbleiben. Heilung ohne Chemotherapie ist daher wirklich der Königsweg.

Was ist Ihr nächstes Forschungsziel?

Prof. Nitz: Die Westdeutsche Studiengruppe genießt in Deutschland hohes Ansehen bei Prüfzentren und Betroffenen. Gemeinsam mit allen Partnern im Gesundheitswesen haben wir hier die Struktur und die Erfahrung, um unter Einbeziehen der gewonnenen Erkenntnisse, der immer differenzierteren Auswertung individueller Tumormerkmale und der großartigen neuen Medikamentenentwicklungen weitere Innovation im Rahmen von unseren neuen Studien verfügbar zu machen. Ganz konkret arbeiten wir weiter an der Ablösung der klassischen Chemotherapie durch eine bessere Auswahl der Patientinnen, zielgerichtete Therapieansätze oder neue Antikörper-Wirkstoffkonjugate. Gemeinsam mit unseren Prüfzentren verwirklichen wir hier weltweit einzigartige Studienkonzepte, die bereits für die teilnehmenden Patientinnen vorteilhaft sind, aber hoffentlich auch dauerhaft die Brustkrebsbehandlung verbessern werden.