"Unsere Erkenntnisse können echte Game-Changer sein."

Professor Kleger, Sie wurden für Ihre Forschung mit dem Deutschen Krebspreis 2023 ausgezeichnet. Herzlichen Glückwunsch! Wie würden Sie Ihrem Nachbarn Ihren Forschungsschwerpunkt beschreiben?

Ich erforsche das Pankreaskarzinom, also Bauchspeicheldrüsenkrebs, und entwickle dafür passende Modellsysteme, mit denen wir die Tumorbiologie dieser besonders aggressiven Krebsart besser zu verstehen versuchen. Zum einen testen wir in Mausmodellen, die eine besonders aggressive Art des Pankreaskarzinom widerspiegeln, Substanzen, die spezifisch bestimmte Tumorzellen abtöten. Im zweiten von uns neu entwickelten Modell züchten wir aus pluripotenten Stammzellen, sogenannten „Alleskönner-Stammzellen“, gezielt bestimmte Arten von Gewebe des menschlichen Körpers. Damit ist es uns nach jahrelanger Arbeit gelungen, alle Zelltypen der Bauchspeicheldrüse zu züchten. In den jeweiligen Mini-Organen, Organoide genannt, untersuchen wir, wie sich defekte Gene auf die unterschiedlichen Zelltypen auswirken. Dieses neue Modell gibt uns die Möglichkeit, neue Aspekte des Pankreaskarzinoms zu betrachten, die in anderen, klassischen Modellsystemen, wie zum Beispiel Mausmodellen, eher schwierig sind. Zudem können wir die Organoide auch aus tatsächlichen Tumoren herstellen. Für das Pankreaskarzinom gilt, dass jeder Tumor praktisch seine eigene Krankheit ist. Mit Organoiden aus Tumoren von Patientinnen und Patienten können wir in Zukunft hoffentlich gezielter tätig werden und maßgeschneiderte Lösungen für die Betroffenen finden und Therapien vorhersagen.

Welches Ihrer Forschungsergebnisse hat Sie selbst besonders beeindruckt?

Mein Team hat schon vor Jahren begonnen, Stammzelldifferenzierungsprotokolle zu entwickeln, die den Grundstein für die aktuellen Ergebnisse lieferten. Zehn Jahre haben wir daran gearbeitet – und vor knapp zwei Jahren haben wir es dann geschafft, diese maßgeschneiderten Organoide aus pluripotenten Stammzellen zu erzeugen. Wir können jetzt das Gewebe bestimmter Tumortypen ganz gezielt „nachkochen“, dabei gezielt Gene an- und ausschalten und so im Detail das Geschehen in der Tumorbiologie beobachten. Das ist ein echter Durchbruch.

Wie können Betroffenen von Ihrer Forschung profitieren?

Bauchspeicheldrüsenkrebs ist aus drei Gründen eine besondere Herausforderung: Betroffene entwickeln erst sehr spät im Verlauf der Erkrankung Symptome, dadurch wird der Krebs häufig erst spät – und damit in einem fortgeschrittenen Stadium – diagnostiziert, und dann ist diese Tumorart an sich auch noch besonders schwer zu behandeln. Durch unsere Forschung erhoffen wir Fortschritte sowohl für die Diagnosestellung als auch für die Therapiemöglichkeiten. In unseren Organoiden aus den verschiedenen Zelltypen der Bauchspeicheldrüse erhoffen wir, die frühen Veränderungen bei der Krebsentstehung zu erfassen. Ein Ziel ist es, daraus dann Biomarker für die Früherkennung abzuleiten. Ziel wäre hier, Veränderungen in Zukunft bereits zu erkennen, wenn die Zellen noch auf dem Weg der Krebswerdung sind, um so vielleicht die Krankheit zu verhindern, bevor sie entsteht. Auch Diagnosen in frühen Stadien könnten so vielleicht möglich werden. Zudem können wir gezielt prüfen, welche Therapieansätze bei welchen molekularen Veränderungen wirksam sind.

Was ist Ihr nächstes Forschungsziel?

Die Modelle haben wir jetzt etabliert. Zuletzt ist es uns außerdem gelungen, auch Verdauungsenzym-produzierende Zellen der Bauchspeicheldrüse als 3D-Struktur zu züchten. Da sich Pankreaskarzinome aus diesen, aber auch aus Gangzellen, auch duktale Zellen genannt, entwickeln, ist dies von großer Bedeutung. Die daraus entstehenden Tumoren haben eine unterschiedliche Biologie, die wir bislang noch nicht verstanden haben – die Erkenntnisse, die wir daraus in Zukunft gewinnen, könnten echte Game-Changer sein. Zudem versuchen wir, mit Biodruckern die Tumoren in ihrer Micro-Umgebung zu untersuchen, zum Beispiel umgeben von Bindegewebszellen, wie es auch im Körper wäre. Wir wollen beobachten, wie der Tumor mit seiner Umgebung kommuniziert. Denn dieser Cross-Talk zwischen den Zellen kann beispielsweise die Aggressivität der Tumorzellen weiter erhöhen. An dieser Stelle wollen wir ansetzen und Möglichkeiten identifizieren, diese Kommunikation zu unterbrechen und damit effektive Therapieansätze für ein besseres Überleben der Patientinnen und Patienten zu finden.