"Ich genieße jeden Tag, an dem ich ins Labor kommen darf."

Prof. Reinhardt, herzlichen Glückwunsch zum Deutschen Krebspreis! Wie würden Sie Ihrer Nachbarin Ihren Forschungsschwerpunkt beschreiben?

Unsere Gruppe hat sich sehr lange mit grundlegenden Mechanismen der DNA-Reparatur und somit der Genomstabilität befasst. Tumorerkrankungen sind im Wesentlichen auf Mutationen in der DNA der Tumorzellen zurückzuführen, somit wird schnell klar, dass eine strenge Qualitätskontrolle der zellulären DNA von enormer Wichtigkeit ist und dass Defekte dieser Qualitätskontrolle zu Krebs führen. Tumoren weisen oft Defekte in der DNA-Reparatur auf. Dies begünstigt die Tumorentstehung, da weitere Mutationen dazugewonnen werden können. Andererseits wirken DNA-schädigende Chemotherapien in Zellen mit DNA-Reparaturdefekten auch besser. Wir versuchen daher die DNA-Reparatur in Tumorzellen gezielt zu blockieren, um ein besseres Therapieansprechen zu erreichen. Während wir in den vergangenen Jahren viel an Lungenkrebs gearbeitet haben, konzentrieren wir uns seit einiger Zeit besonders auf die Erforschung von aggressiven Lymphomen.

Welches Ihrer Forschungsergebnisse hat Sie selbst besonders überrascht oder beeindruckt?

In bisher nur in Teilen veröffentlichten Arbeiten konnten wir zuletzt zeigen, dass es offenbar sehr enge Kontakte zwischen Nervenzellen und einer ganz bestimmten Art von Bronchialkarzinomen gibt, dem sogenannten kleinzelligen Bronchialkarzinom. Nicht nur bestehen synaptische Kontakte zwischen diesen sehr unterschiedlichen Zelltypen, sondern es scheint so zu sein, dass die Tumorzellen geradezu abhängig von diesen Zell-Zell-Kontakten sind. Wenn wir mit Medikamenten diese Zell-Zell-Kontakte blockieren, schrumpfen die Lungentumore im Tiermodell. Diese für uns vollkommen überraschenden und faszinierenden Ergebnisse eröffnen ganz neue therapeutische Interventionsstrategien, die wir aktuell intensiv untersuchen. Für diese täglich neuen Überraschungen und Ergebnisse bin ich unserem wundervollen Team von herausragenden Forscherinnen und Forschern sehr, sehr dankbar.

Wie können Betroffene von ihrer Forschung profitieren?

Um unsere Forschungsergebnisse in die klinische Praxis zu bringen, müssen wir klinische Studien durchführen, um zunächst die Sicherheit und Verträglichkeit unserer Konzepte zu belegen. Aktuell bereiten wir einige neue klinische Studien vor. So wollen wir beispielsweise versuchen, ganz gezielt Interaktionen von Tumorzellen mit Nervenzellen zu blockieren, um ein besseres Therapieansprechen bei kleinzelligen Bronchialkarzinomen zu erreichen. Patientinnen und Patienten, die im Rahmen solcher Studien behandelt werden, können frühzeitig von möglichen Verbesserungen der Standardtherapien profitieren.

Was ist Ihr nächstes Forschungsziel?

In den letzten Jahren haben wir uns vermehrt mit den aggressiven Lymphomen beschäftigt ‒ einer Erkrankung mit faszinierender Biologie und einem weiter sehr hohen Bedarf an Therapieverbesserungen. In einem groß angelegten Ansatz gemeinsam mit klinisch tätigen Kolleginnen und Kollegen der Klinik für Hämatologie und Stammzelltransplantation sowie dem Forschungsteam der Klinik haben wir begonnen, systematisch Tumormaterial aus Mäusen und Patientinnen und Patienten zu archivieren, um die Biologie der Erkrankung besser zu verstehen und Modelle zu entwickeln, die wir als präklinische Avatare einsetzen können, um die Therapie für unseren Patientinnen und Patienten weiter zu optimieren. Gerade diese enge Vernetzung zwischen Klinik und Grundlagenforschung begeistert mich sehr, und ich genieße jeden Tag, an dem ich in die Klinik und das Labor kommen darf.