"Unsere Konzepte basieren lediglich auf Schall und Licht."
Professorin Maier-Hein ‒ herzlichen Glückwunsch zum Deutschen Krebspreis 2024! Wie würden Sie Ihren Nachbarn Ihren Forschungsschwerpunkt beschreiben?
Primäres Ziel meiner Abteilung ist es, chirurgische Eingriffe mittels Methoden der künstlichen Intelligenz zu verbessern. In der Krebschirurgie fehlt es beispielsweise bislang an Methoden, mit denen Chirurginnen und Chirurgen während einer Operation Funktion und Zustand von Geweben beurteilen können. In enger Kooperation mit klinischen Partnern entwickeln wir neuartige, sogenannte spektrale Bildgebungsverfahren, die es unter Verwendung besonderer Kameras und KI ermöglichen, in Echtzeit und ohne Strahlungsbelastung in den menschlichen Körper hineinzusehen – und dabei für das menschliche Auge unsichtbare Informationen sichtbar machen.
Welches Ihrer Forschungsergebnisse hat Sie selbst besonders überrascht oder beeindruckt?
Vor etwa acht Jahren konnten wir zusammen mit Kooperationspartnern vom Uniklinikum Heidelberg erstmals zeigen, dass sich die Sauerstoffsättigung in Organen während minimal-invasiver Operationen in Echtzeit und räumlich aufgelöst rekonstruieren lässt. Ein Neurochirurg, Dr. Edgar Santos, fand die Ergebnisse so spannend, dass er unsere Methode direkt nutzen wollte, um die sogenannte Streudepolarisierung – ein Phänomen im Gehirn, welches im Zusammenhang mit Schlaganfällen und Migräne auftritt – zu visualisieren. Unser eigentlich für die Krebschirurgie von meinem damaligen Doktoranden Sebastian Wirkert entwickelter Algorithmus hat dann tatsächlich direkt plausible Ergebnisse geliefert, so dass wir nun unerwarteterweise auch an einem Projekt zur Entwicklung von Medikamenten gegen Schlaganfall mitarbeiten.
Wie können Betroffene von ihrer Forschung profitieren?
Die meisten Bildgebungsmodalitäten sind entweder mit Strahlenbelastung verbunden, nicht echtzeitfähig oder sehr komplex und teuer. Unsere Konzepte basieren lediglich auf Schall und Licht und sind nicht nur ungefährlich für den Betroffenen und das Operationsteam, sondern eröffnen auch vollkommen neue Möglichkeiten, um Operationen sicherer zu machen. Der Weg von der Forschung bis in die Praxis ist bekanntlich lang, aber ich persönlich gehe davon aus, dass sowohl die spektrale Bildgebung als auch die KI-basierte Bildanalyse mittelfristig den Weg in die klinische Routine finden und die Krebstherapie deutlich verbessern werden.
Was ist Ihr nächstes Forschungsziel?
Aktuell scheitern viele KI-Algorithmen in der Medizin, wenn man sie in einem Szenario einsetzt, das nicht exakt den Trainingsdaten entspricht, zum Beispiel weil man ein neues Kameramodell verwendet. Wir möchten erreichen, dass unsere Methoden generalisieren, also sich auch ohne erneutes Training an neue Situationen anpassen können. Das ist eine Grundvoraussetzung dafür, das Potential von KI für möglichst viele Patientinnen und Patienten nutzbar zu machen.