"Mein Team und mich interessiert seit vielen Jahren, wie es zu den unterschiedlichen Krankheitsverläufen beim Neuroblastom kommt."

Herr Professor Fischer ‒ herzlichen Glückwunsch zum Deutschen Krebspreis 2025! Sie forschen unter anderem zum Neuroblastom. Was ist das Besondere an diesem Tumor?

Das Neuroblastom ist einer der häufigsten Tumoren des Kindesalters. Es entwickelt sich aus dem peripheren Nervensystem, zumeist im Bauchraum. Ungewöhnlich an diesem Tumor ist das breite Spektrum an klinischen Verläufen: Bei etwa der Hälfte der betroffenen Kinder zeigt der Tumor ein aggressives Verhalten, welches eine hoch-intensive Chemotherapie sowie zumeist auch Operationen und eine Bestrahlung notwendig macht. Trotzdem können wir nur etwa die Hälfte dieser Kinder heilen. Bei den anderen Erkrankten sieht der klinische Verlauf jedoch ganz anders aus: Nach einem initialen Wachstum des Tumors kommt es im Verlauf zu einem Wachstumsstopp und danach häufig zu einer spontanen Rückbildung des Tumors. Diese Kinder benötigen zumeist keine oder nur sehr wenig Chemotherapie und haben trotzdem eine hervorragende Heilungsrate.

Wie sieht ihre Forschung mit Blick auf das Neuroblastom genau aus?

Mein Team und mich interessiert seit vielen Jahren, wie es zu diesen unterschiedlichen Krankheitsverläufen kommt – ein Rätsel, das seit 100 Jahren Kinderonkolog*innen beschäftigt. Hierfür untersuchen wir die biologischen Eigenschaften der verschiedenen Neuroblastom-Typen mit molekulargenetischen Methoden und überprüfen die Bedeutung unserer Ergebnisse in experimentellen Modellen. Auf diese Weise konnten wir die Ursache der unterschiedlichen Krankheitsverläufe herausfinden: Neuroblastome mit einem aggressiven Wachstum verfügen immer über sogenannte Telomer-Erhaltungsmechanismen. Diese stabilisieren die Enden der Chromosomen, wodurch sich die Krebszellen unbegrenzt teilen können und der Tumor aggressiv wächst. Prognostisch günstige Neuroblastome weisen dagegen diese Mechanismen nicht auf, so dass das Tumorwachstum nach einer gewissen Zeit stoppt und in eine spontane Rückbildung übergeht. Es bleiben aber natürlich noch viele Fragen, zum Beispiel wie können wir unsere Erkenntnisse nutzen, um gezielte Therapien zu entwickeln, oder welche Faktoren führen zu einer Resistenz gegenüber der gegenwärtig eingesetzten Chemotherapie.

Und wie können Patient*innen von Ihrer Grundlagenforschung profitieren?

Unsere Erkenntnisse erlauben eine präzise Vorhersage des klinischen Verlaufs, was wiederum eine individuell angepasste Behandlung ermöglicht. Kurz gesagt geht es darum, auf der einen Seite Betroffene zu identifizieren, die eine hoch-intensive Therapie benötigen, um eine Heilung zu erreichen, und auf der anderen Seite solche, die auch ohne (oder mit sehr wenig) Therapie langfristig gesund werden können. Außerdem möchten wir mit unseren Arbeiten neue Angriffspunkte für gezielte Therapien identifizieren, um die Heilungschancen von Hochrisiko-Patient*innen zu verbessern. Schließlich stellen wir uns die Frage, ob die Prinzipien, die wir beim Neuroblastom gefunden haben, auch auf andere Tumoren zutreffen, und ob dies ähnliche Konsequenzen für die Behandlung haben könnte. So haben wir kürzlich herausgefunden, dass das Vorhandensein von Telomer-Erhaltungsmechanismen offenbar auch bei sogenannten pulmonalen Karzinoiden, einem Lungentumor des Erwachsenenalters, einen ungünstigen Krankheitsverlauf bedingt.

Als Physician Scientist sind sie sowohl in der Patient*innenversorgung als auch in der Forschung tätig. Inwieweit hat diese Doppelrolle einen Mehrwert für Ihre Arbeit?

Die unmittelbare Arbeit mit krebskranken Kindern führt mir immer wieder vor Augen, mit welchen Herausforderungen wir es gegenwärtig in der Behandlung zu tun haben. So sind neben den unbefriedigenden Heilungsraten von Hochrisiko-Neuroblastom-Betroffenen auch die zum Teil massiven Nebenwirkungen und Langzeitschäden der aktuellen Therapie ein großes Problem, das wir durch neue Behandlungsansätze zu verbessern suchen. Ungelöste klinische Probleme sind also meist auch mit wissenschaftlichen Fragen verknüpft. Umgekehrt erlaubt mir diese Doppelrolle, neue Erkenntnisse aus unserer Forschung durch klinische Studien unmittelbar in die klinische Praxis zu transferieren. Erfolge bei der Übertragung von neuem Wissen in die Versorgung von Patient*innen motivieren dann natürlich wieder für weitere Anstrengungen.

Vielen Dank für das Gespräch.