„Wir konnten zeigen, dass die radikale Entfernung aller Lymphdrüsen aus der Achselhöhle in vielen Fällen keine Vorteile bringt.“

Herr Professor Weber ‒ Sie sind Preisträger des Deutschen Krebspreis 2025 in der Kategorie „Klinische Forschung“. Herzlichen Glückwunsch! Wie hat sich die Brustkrebschirurgie in den letzten Jahren durch Ihre Forschung verändert?

Herzlichen Dank. Der renommierte Deutsche Krebspreis würdigt unsere etwa 8-jährige Aufbauarbeit in der internationalen klinischen Brustkrebsforschung zur Verbesserung der chirurgischen Behandlung. Wir konnten zuletzt zeigen, dass die radikale Entfernung aller Lymphdrüsen aus der Achselhöhle, die sogenannte axilläre Lympknotendissektion oder kurz Axilladissektion, keine Vorteile bringt bei Patient*innen mit einzelnen Tumorzellen nach medikamentöser Vorbehandlung mittels Chemotherapie. Die entsprechende hochrangige Publikation im Journal of Clinical Oncology hat dazu geführt, dass viele Zentren, wie zum Beispiel das Memorial Sloan-Kettering Cancer Center in New York, den Behandlungsstandard geändert haben und in dieser Situation nicht mehr radikal operieren. In der Regel ziehen viele kleinere Spitäler nach, wenn die führenden Zentren ihren Standard den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen anpassen. Darum gehen wir davon aus, dass Patient*innen in vielen Ländern profitieren und weniger unter den belastenden Nebenwirkungen der radikalen Operation leiden werden. Das betrifft allerdings noch nicht alle Patient*innen, die eine Axilladissektion erhalten, und es bleibt noch viel zu tun, bis wir ganz darauf verzichten können.

Das von Ihnen gegründete Oncoplastic Breast Consortium ‒ kurz OPBC ‒ bringt Expertinnen und Experten aus 97 Ländern zusammen. Wie profitieren Betroffene konkret von dieser internationalen Zusammenarbeit?

Die globale Vernetzung bringt viele Vorteile. Ein kleines Land wie die Schweiz hat grundsätzlich Mühe, ohne internationale Kollaborationen praxisrelevante klinische Forschung erfolgreich zu betreiben. Häufig sind hohe Patientenzahlen nötig, um den Erfolg einer neuen Therapie zeigen zu können. Die hohe Zahl an sehr aktiven Studienzentren führt dazu, dass auch große Studien in relativ kurzer Zeit durchgeführt werden. Das wiederum erlaubt, dass die wissenschaftlichen Daten genügend schnell verfügbar sind, um die klinische Praxis zu beeinflussen. Vor allem Chirurg*innen neigen nämlich dazu, die Praxis auch ohne Studienunterstützung zu ändern, wenn sie dies für nötig halten, um die bestmögliche Behandlung anzubieten. Die Geschwindigkeit der Datengenerierung ist deshalb ein wichtiges Erfolgskriterium bei der chirurgischen Forschung. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass sich die Zentren im Netzwerk bezüglich ihrer öffentlichen, privaten oder universitären Ausrichtung und in ihrer Größe unterscheiden und auf der ganzen Welt verteilt liegen. Dadurch können die gewonnenen Studienerkenntnisse auch überall angewandt werden.

In Ihrer Forschung arbeiten Sie eng mit Patientenvertretungen zusammen. Wie sieht die Zusammenarbeit genau aus, und welche Vorteile hat sie?

Die Zusammenarbeit mit den Patientenvertreter*innen hat für uns höchste Priorität, weil wir dadurch einerseits sicherstellen können, dass die Studienfragen aus Sicht der Betroffenen wichtig sind, und andererseits, dass der Studienplan auch machbar ist. Die sehr aktive internationale Gruppe von Patientenvertreter*innen des Oncoplastic Breast Consortiums (OPBC) wird angeschrieben, wenn wir ihren Input benötigen – und das ist in der Regel bei jedem Projekt mehrfach der Fall. Ihre Meinungen werden systematisch mit Fragebogen erfasst, und in jedem wichtigen Gremium sitzt mindestens eine Patientenvertreterin. Sie kann sich zeitnah rücksprechen, weil die Gruppe untereinander gut vernetzt ist. Wir haben im OPBC 43 Patientenvertreter*innen aus 22 Ländern, die sich über unsere Website und mit Hilfe der Kontaktangaben aus wissenschaftlichen Publikationen bei uns gemeldet haben, um sich einzubringen und mitzumachen. Wir verzichten bewusst darauf, mögliche Kandidat*innen aktiv zu kontaktieren und zur Mitarbeit überzeugen zu wollen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass auf diesem Wege eine Selektion von sehr motivierten Patientenvertreter*innen und auch klinisch Forschenden möglich ist. In der Tat haben einige bereits ihre eigene Patientenvertretungsgruppe gegründet und bringen schon viel Erfahrung mit.

Was ist ihr nächstes großes Forschungsziel?

Wir haben zwei Ziele: Zum einen soll jede Patientin – und übrigens auch jeder Patient –  überall auf der Welt zwischen der konventionellen und der onkoplastischen Chirurgie wählen dürfen. Das entspricht auch der Absichtserklärung des Oncoplastic Breast Consortiums (OPBC) auf der Website. Wir haben schon viel dazu beigetragen, die onkoplastische Chirurgie bekannt zu machen, so dass die Patient*innen vermehrt danach fragen. Dies motiviert wiederum die Brustchirurginnen und -chirurgen, diese Technik als Standard zu akzeptieren und entsprechend auch zu lernen. Sie wird ja seit Jahrzehnten an spezialisierten Zentren angeboten. Wir möchten diesen Prozess begleiten und die Technik durch klinische Forschung stets verbessern. Das zweite große Ziel ist das Verbannen der Axilladissektion aus der klinischen Praxis, weil diese radikale Operation aus der Zeit gefallen ist und mehr Schaden anrichtet als nützt. Jede vierte Patientin leidet nach dieser Operation unter schweren Nebenwirkungen, zum Teil lebenslang. Das OPBC führt die groß angelegte TAXIS-Studie an 59 Zentren in 13 Ländern durch, um die letzten Anwendungen der Axilladissektion kritisch zu hinterfragen. In die Studie wurden bereits 1350 Patient*innen eingeschlossen, und die Gesamtzahl von 1500 sollte dieses Jahr noch erreicht werden können. Die Studie kostet etwa sieben Million Euro und dauert insgesamt zehn Jahre. Wir hoffen, dass nach Veröffentlichung der Resultate die Axilladissektion nicht mehr als Standard eingesetzt wird. Das wird aber auch wiederum Nachteile mit sich bringen. Die wenigen noch nötigen Axilladissektionen werden dann technisch immer schwieriger, zum Beispiel bei Rückfällen im vorbestrahlten Gewebe. Deshalb muss eine kleinere Gruppe von Chirurginnen und Chirurgen an den großen Zentren die Expertise erhalten und weitergeben können, was allenfalls durch eine Zentralisierung erreicht werden kann. Es ist also noch ein weiter Weg.

Vielen Dank für das Gespräch.