"Unsere Tools bieten eine fundierte und schnelle Entscheidungsgrundlage für die personalisierte Therapie."
Frau Professorin Börries ‒ herzlichen Glückwunsch zum Deutschen Krebspreis 2025! Sie arbeiten an der Schnittstelle zwischen Medizin, Biologie und Bioinformatik – für viele ist das schwer vorstellbar. Wie würden Sie Ihren Nachbarn ihre Forschung erklären?
Ich arbeite an der Schnittstelle von Medizin, Biologie und Bioinformatik – das heißt, ich verbinde medizinisches Wissen über Krankheiten, biologisches Verständnis von Zellen und Genen sowie computergestützte Methoden, um große Datenmengen auszuwerten. Wir schauen uns zum Beispiel an, welche genetischen Veränderungen Tumoren haben und wie Patient*innen darauf reagieren. Mit Hilfe der Bioinformatik analysieren wir diese Daten und leiten daraus gezielte personalisierte Therapien ab – also Behandlungen, die individuell auf die Patientin oder den Patienten zugeschnitten sind. So können wir die Medizin noch präziser und wirksamer machen. Das Zusammenspiel dieser drei Disziplinen ist dafür eine wichtige Voraussetzung – und damit es funktioniert, ist eine gute Kommunikation zwischen den Fachbereichen entscheidend.
Wie profitieren Betroffene von den Ergebnissen?
Betroffene profitieren in mehrfacher Hinsicht von unserer Arbeit. Zum einen können durch die Analyse individueller genetischer und biologischer Merkmale gezieltere, sogenannte personalisierte Therapien entwickelt werden – also Behandlungen, die speziell auf die Eigenschaften eines Tumors oder einer Krankheit zugeschnitten sind. Das erhöht die Chance, dass eine Therapie besser wirkt. Andererseits helfen unsere Forschungsergebnisse auch dabei, Therapieresistenzen zu erkennen oder zu verstehen, warum bestimmte Behandlungen nicht anschlagen. Das wiederum kann dazu führen, dass schneller auf wirksamere Alternativen umgestellt werden kann. Langfristig tragen unsere Erkenntnisse dazu bei, dass neue Medikamente entwickelt, klinische Studien besser geplant und Diagnostikverfahren verfeinert werden – was allen zukünftigen Patient*innen zugutekommt. Kurz gesagt: Unsere Forschung hilft dabei, die medizinische Versorgung individueller, präziser und effektiver zu gestalten
Sie haben maßgeblich Visualisierungs- und Analysetools für Therapieentscheidungen konzipiert. Was können wir uns darunter vorstellen und inwieweit kann auch die Forschung davon profitieren?
Wir haben verschiedene bioinformatische Analysewerkzeuge – sogenannte Pipelines – entwickelt, mit denen wir Sequenzierungsdaten, wie Whole Exome Sequencing (WES), Whole Genome Sequencing (WGS) oder RNA-Sequenzierungen, schnell und präzise auswerten können. Diese Tools kommen sowohl im Molekularen Tumorboard (MTB) als auch in wissenschaftlichen Projekten zum Einsatz und lassen sich flexibel an unterschiedliche Fragestellungen anpassen. Ein zentrales Ziel ist die Standardisierung: Im Rahmen des Konsortiums PM4Onco entwickeln wir derzeit eine Referenzpipeline, die bundesweit genutzt werden kann. Ebenso wichtig wie die Analyse selbst ist uns die verständliche Darstellung der Ergebnisse. Deshalb haben wir das Visualisierungstool cBioPortal um klinisch relevante Funktionen erweitert – basierend auf Rückmeldungen der Anwender*innen aus dem MTB. Unsere Tools bieten eine fundierte und schnelle Entscheidungsgrundlage für die personalisierte Therapie – und leisten gleichzeitig einen wichtigen Beitrag zur Forschung, zum Beispiel durch reproduzierbare Analysen, strukturierte Datenhaltung, bessere Vergleichbarkeit der Ergebnisse und den aktiven Austausch in der wissenschaftlichen Community.
In Ihrer Forschung arbeiten Sie auch mit Patient-derived Organoids (PDOs) – also mit im Labor gezüchteten Miniaturmodellen von Tumoren, die aus Biopsien gewonnen wurden. Was hat das mit der personalisierten Krebsmedizin zu tun?
PDOs werden aus Tumorbiopsien einzelner Patient*innen im Labor kultiviert und spiegeln die individuellen molekularen und biologischen Eigenschaften des jeweiligen Tumors wider. So können wir gezielt verschiedene Medikamente an ihnen testen – im sogenannten Drug Screening – und herausfinden, auf welche Therapien der Tumor am besten anspricht. Insbesondere können wir auch gezielt Therapieoptionen testen, die sich aus genomischen Analysen, wie etwa der Whole Exome Sequenzierung oder den Ergebnissen des Molekularen Tumorboard (MTB), ergeben. PDOs bieten damit eine experimentelle Plattform für die personalisierte Vorhersage des Therapieansprechens und helfen, Resistenzen besser zu verstehen.
Darüber hinaus leisten sie einen wichtigen Beitrag zur translationalen Forschung, da sie als patientennahe Modelle auch die Entwicklung neuer Medikamente und individualisierter Behandlungsstrategien unterstützen – insbesondere dann, wenn ein Tumorbiopsat zu klein für weitere Analysen ist. In solchen Fällen können Organoide, die aus wenigen Zellen gezüchtet sind, wichtige ergänzende Zusatzinformationen liefern.
Vielen Dank für das Gespräch.